Bericht von der dritten Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Stuttgart am 14. Oktober 2016

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In der dritten Sitzung beschäftigte sich der zweite NSU-Landesuntersuchungsausschuss mit der Frage, ob ausländische (Geheim-)Dienste am 25. April 2007 in Heilbronn vor Ort waren und welche Rolle diese gespielt haben könnten. Die Basis dieser Fragestellung stellte der am 1. Dezember 2011 veröffentlichte „Stern“-Artikel „Mord unter den Augen des Gesetzes“ dar. Dieser fußte auf einem vermeintlichen Observationsprotokoll des amerikanischen Geheimdienstes „Defense Intelligence Agency“ (DIA), welches den Schluss nahelegt, dass am Tattag amerikanische und deutsche Geheimdienstler Zeugen des Mordes an Michèle Kiesewetter gewesen seien. Die im Protokoll als „SIT Stuttgart“ bezeichnete Sondereinheit soll am Tag selbst mit der Observation eines bekannten Islamisten betraut gewesen sein.

Als erster Zeuge ist der Landespolizeipräsident a.D. Erwin Hetger geladen. Zu Beginn seiner Aussage stellt Hetger fest, dass im Artikel des „Stern“ der Eindruck vermittelt werde, Michèle Kiesewetters und Martin A.s Einsatz am 25. April 2007 sei eine „geheime Mission“ gewesen. Dies sei nicht der Fall gewesen. Es werde in dem Artikel auch auf den Rahmenbefehl Nr. 10 Bezug genommen, der Leitlinien für die Sicherheitsbehörden in Bezug auf die Bekämpfung islamistischen Terrors insgesamt darstelle. Dieser sei am 8. Mai 2007 ausgestellt worden und schon allein deswegen könne er in keinem Zusammenhang mit dem Einsatz von Michèle Kiesewetter und Martin A. stehen. Diese seien vielmehr im Konzeptionseinsatz „Sichere City“ eingesetzt gewesen. Für solche Konzeptionseinsätze würden Beamte der Bereitschaftspolizei mit einbezogen. Der Einsatz der beiden Polizeibeamten stehe auch in keinem Zusammenhang mit einer von der amerikanischen Botschaft veröffentlichten Warnmeldung zur erhöhten Bedrohungssituation in Deutschland. Im Zuge dessen seien die Einheiten, die für den Objektschutz von US-Einrichtungen betraut gewesen waren, sensibilisiert worden. Auch dieser Hinweis habe, wie der Rahmenbefehl vom 8. Mai 2007, „null Beziehung zu der Theresienwiese, null Beziehung zu der Tat am 25. April“ gehabt. Auf die Rückfrage des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexlers (SPD), dass es in Medienberichten immer wieder heiße, Kiesewetter und A. seien im Antiterroreinsatz gewesen, betonte Erwin Hetger nochmals, dass die beiden nie verdeckte Ermittler waren. Sie seien beim Konzeptionseinsatz beteiligt gewesen und Kiesewetter sei als zivile Aufklärerin in ihrer BFE-Einheit eingesetzt worden. Dafür hätte sie sich freiwillig gemeldet. Der Warnhinweis habe nichts mit Heilbronn zu tun gehabt, irgendwelche Beziehungen nach Heilbronn zu ziehen sei abwegig. Auf Nachfrage betont er, dass Heilbronn 2007 nicht das Zentrum der islamistischen Szene gewesen sei, das sei damals Ulm gewesen und dort habe man entsprechende Maßnahmen ergriffen.
In Bezug auf das für die Sitzung relevante Thema betonte Erwin Hetger nochmals, dass er keine Kenntnisse über Geheimdienste am Tattag in Heilbronn gehabt habe. „Sowas wurde nie an mich herangetragen“. Er habe sich zwar intensiv mit der „Sauerlandgruppe“ befasst, da diese auch viel in Baden-Württemberg unterwegs gewesen sei, jedoch könne er die Dinge, die er in Vorbereitung auf die Sitzung wahrgenommen habe, nicht nachvollziehen und wisse auch hier von keinen Vorkommnissen auf der Theresienwiese oder in unmittelbarer Nähe.

Als nächste Zeugin wurde die erste Kriminalhauptkommissarin des Bundeskriminalamtes Ute S. vernommen. Diese ist im Lagezentrum internationale Zusammenarbeit eingesetzt und arbeitete vom 11. November 2011 bis zum April 2012 in der BAO Trio. Im Zuge dieser Tätigkeit sei sie auch für die Anfragen an die deutschen sowie ausländischen Geheimdienste zuständig gewesen, die im Zuge des am 1. Dezembers 2011 im „Stern“ erschienen Artikels durchgeführt wurden. Konkret sollte die Frage geklärt werden, was das „Special Investigation Team“ (SIT) sei, das laut Observationsprotokoll des „Stern“ am 25. April 2007 einen bekannten Islamisten beobachtet haben soll. Über verschiedene Verbindungsbeamte seien diese Anfragen vonstatten gegangen. Sie habe unter anderem beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesnachrichtendienst (BND) und der „DIA“ Anfragen gestellt. Im Zuge dessen hätten sie keine Antworten bekommen. Erst nachdem einige Male nachgehakt wurde, sei eine telefonische Antwort des BND gekommen, dass diese das „SIT“ nicht kennen würden. Im April 2012 sei dann auch eine eingestufte Antwort der „DIA“ gekommen. Auf die Frage, ob an dem Tag amerikanische Agenten in Heilbronn vor Ort waren, gab sie an, dass sie dazu nichts sagen könne, da sie es nicht wisse. Nach einer halben Stunde wurde die öffentliche Befragung der Zeugin beendet und es ging in nicht-öffentlicher Sitzung weiter.

Der nächste Zeuge war der Kapitän zur See und Abteilungsleiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) Olaf C. Dieser gab an innerhalb des MAD für den Bereich Extremismus- und Terrorismusabwehr zuständig zu sein. Die Bezeichnung „SIT“ sei ihm vorher und auch nach der Veröffentlichung des „Stern“ nicht bekannt gewesen. Anfang Dezember 2011 habe er ein Schreiben des BND erhalten und daraufhin beim MAD in Stuttgart nachgefragt. Diese wiederum hätten bei den Amerikanern nachgefragt. Auf die Frage des Abgeordneten Drexlers, warum der MAD für die Kontaktaufnahme mit den Amerikanern gebraucht worden sei, antwortete C., dass der MAD Zusammenarbeitspartner in militärischen Bereichen, vor allem mit der amerikanischen Armee, habe und durch diese Kontakte zur Aufklärung der Tatsachen beitragen sollte. Auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Filius nach dem Wahrheitsgehalt des „Stern“-Berichts erwiderte C., dass er nicht wisse, ob Behördenvertreter am 25. April 2007 in Heilbronn gewesen seien, er könne nur sagen, dass vom MAD niemand in Heilbronn war. Nach knapp 15 Minuten endete die öffentliche Befragung des Zeugens und es ging in nicht-öffentlicher Runde weiter.

Als letzter Zeuge wurde der ehemalige Sachbearbeiter im Nachrichtendienst Reinhard Kiefer gehört. Der Betriebswirt gab an, ab 1. August 2001 für die „66. Military Intelligence“ (MI) in Hanau gearbeitet zu haben. Er habe den Job, der im Internet ausgeschrieben gewesen sei, von Peter L. übernommen, der ab August 2001 mit anderen Aufgaben betraut worden sei. L. sei darüber gar nicht erfreut gewesen. Kiefer erklärt, seine Aufgaben hätten in der Spionageabwehr bestanden und darin, Anbahnungsversuche von Dritten gegenüber US-Soldaten oder zivilen Mitarbeitern zu erkennen und abzuwehren. Zudem habe er routinemäßige Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Zuerst sei er nur für den Großraum Hanau zuständig gewesen und später dann noch Frankfurt, Gießen/Marburg und Fulda. Bis zu den Anschlägen von 9/11 „hatten die Amerikaner eine klare Hitlist, man nennt das Priority Intelligence Requirements“: sie wollten wissen „was machen die Rechten in Deutschland“, wer habe wo welche Demo und mit welcher Teilnehmerzahl angemeldet. Als zweite Priorität „kamen die Bikergangs dazu, der Ku Klux Klan, die Hells Angels und verschiedene andere Bikergruppen, die auch auf Seiten der Amerikaner in den Kasernen nach wie vor tätig sind, der Ku Klux Klan ist nicht verboten, der sitzt hier in Stuttgart auch in der Kaserne“. Und als Drittes hätten die Amerikaner wissen wollen „was macht die Linke in Deutschland“ in Bezug auf die linksradikale Bewegung, da hätten sie die gleichen Informationen über Demos haben wollen. In diesem Zusammenhang habe er beispielsweise Informationen über die linke Szene an der Uni Gießen/Marburg eingeholt, denn die Amerikaner hätten genau wissen wollen wer da die „Mover und Shaker“ waren. Erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sei der Fokus auf islamistischen Terrorismus verschoben worden und alles andere sei in den Hintergrund gerückt. Auf eine spätere Nachfrage des Abgeordneten Filius ergänzte er, dass es den KKK in den Kasernen gebe und dieser mit „Harley-Davidsons“ durch die Gegend fahre. Dem Chapter der amerikanischen Hells Angels in Deutschland würden auch Leute des KKK angehören. Diese Erkenntnisse seien ihm von seinem damaligen Einheitsoffizier 2004/2005 zugetragen worden.

Während seiner Tätigkeit für den US-Dienst habe dieser ihn häufiger versucht rauszuwerfen, da er sich im Betriebsrat engagiert habe. Diese Versuche seien jedoch alle gescheitert und die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen seien von den Arbeitsgerichten abgewiesen worden. Am Ende habe er dann eine Abfindung bekommen und habe „den Laden“ verlassen. Anders als von Peter L. behauptet habe er nach seiner Entlassung nicht getobt, da es ja keine Entlassung gewesen sei, sondern einvernehmlich. Er und die anderen deutschen Angestellten hätten Peter L. immer misstraut. Dieser sei durch seine lange Tätigkeit für „die Bande“ (den Dienst) sehr gut bis in die höchsten Ämter vernetzt gewesen und habe seine eigene Agenda gehabt. Auch die Amerikaner hätten ihm misstraut, da er Australier und viel in Heidelberg unterwegs gewesen sei, was nicht sein Gebiet war, denn das MI-Hauptquartier sei in Darmstadt gewesen. Dieses Misstrauen gegenüber Peter L. betonte Reinhard Kiefer mehrfach während der Befragung. Auch auf verschiedene Widersprüche zwischen seinen Aussagen und denen Peter L.s, z.B. was den letzten Kontakt zwischen ihnen angeht, sagte er, dass Peter L. „von den Amis gebrieft“ worden sei.

Auf die Nachfrage, was er zu dem Hinweis auf Heilbronn sagen könne, den er in der Kaserne in Hanau ein oder zwei Tage nach der Tat in Heilbronn mitgehört habe, antwortete Kiefer, der eine Soldat hätte gesagt „Hast Du gehört was in Heilbronn passiert ist?“. Daraufhin habe der andere geantwortet: „Ja habe ich“. Daraufhin wieder der erste Soldat: „Hoffentlich ist niemand von unseren Leuten dabei gewesen, das könnte politische Verwicklungen mit sich bringen“. Kiefer habe daraufhin seinen Vorgesetzten gefragt, ob ihm irgendetwas zu diesen Verwicklungen bekannt sei. Der habe daraufhin nur gesagt, das gehe ihn nichts an, das sei „nicht seine Gehaltsklasse“. Kiefer hätte sich dann nicht mehr darum gekümmert, weil er Tag und Nacht an der „Sauerlandgruppe“ dran gewesen sei.

Auf mehrfache Nachfragen, ob die Soldaten wirklich nicht über die Observation des Islamisten Mevlüt K. durch amerikanische Einheiten geredet hätten, betont Kiefer, das habe er nie gesagt. Drexlers zitiert aus einem Befragungsprotokoll des BKA, in dem Kiefer wiedergegeben werde mit den Worten: „einer der beiden habe gesagt, dass er davon gehört habe, dass am Tag des Mordes eine Observation des Mevlüt K. durch eigene MI-Kräfte im Raum Heilbronn stattgefunden habe. Weiterhin habe einer der beiden gesagt, dass er hoffe, dass es keine räumliche Verbindung zwischen der Observation und dem Mord auf der Theresienwiese gebe, da dies sonst zu politischen Verwicklungen kommen könnte“. Daraufhin antwortet Kiefer, daran könne er sich nicht erinnern. Auch auf weiteres Nachhaken und Bezugnehmen auf andere Aussagen, die er in der Vergangenheit getroffen hatte, bestand er darauf, dass er nie gesagt habe, dass in Heilbronn eine Observation stattgefunden habe. Zudem könne Mevlüt K. gar nicht überwacht worden sein, da dieser sich zu dem Zeitpunkt in der Türkei aufgehalten haben müsste. Dies sei ihm jedoch erst später klar geworden, direkt am Tattag und zum Zeitpunkt seiner E-Mail an die Polizei, in der er auf das Gespräch der beiden Soldaten hinwies, sei ihm dieser Umstand nicht bewusst gewesen. Auf Nachfrage warum er die Mail ans BKA geschrieben habe gibt er an, dass es seine „heilige Pflicht“ gewesen sei, da diese Soldaten durch die CIA ausgebildete und gebriefte „Special Forces“ gewesen seien und da sein Chef ihn mit den Worten „das sei weit über seiner Gehaltsklasse“ rausgeworfen habe. Diese beiden Umstände hätten ihn stutzig gemacht und daher habe er das Gespräch bei der Polizei gemeldet. Kiefer äußerte klar, dass er nicht an eine Observation in Heilbronn glaube: „So doof sind selbst die Amis nicht, dass sie sich da auf die Theresienwiese stellen und offen observieren. Dafür waren sie viel zu vorsichtig.“

In Bezug auf einen anderen Aspekt der Befragung vor dem Landesuntersuchungsausschuss gab er an, die Bezeichnung „Special Investigation Team“ (SIT) kenne er nur von Peter L. Dieser habe den Begriff „SIT“ noch benutzt. L. sei eine Gehaltsgruppe über ihm gewesen (A15) und kenne diese Einheit noch von früher. Nur Mitarbeiter, die bereits in den 1990er Jahren und davor für den Geheimdienst gearbeitet hätten, würden diese Bezeichnung kennen. Es habe eventuell eine Nachfolgeeinheit des SIT gegeben.

Auf Vorhalte aus Aussagen, laut denen Kiefer, als sich seine Entlassung beim US-Dienst angebahnt habe, mit Kontakten zur Presse, explizit beim „Focus“ und dem „Stern“ gedroht habe, antwortet Kiefer, das stimme nicht. Er habe Kontakte zu zwei „Focus“-Redakteuren in Frankfurt gehabt und mit diesen länger die „Sauerland“-Geschichte diskutiert, weitere Pressekontakte habe es nicht gegeben.

Auf Äußerungen der AfD-Abgeordneten Baum, die sich darüber überrascht zeigte, dass US-amerikanische Geheimdienste Linke und Rechte in Deutschland bespitzeln, entgegnete Kiefer, das sei „bei denen leider Gottes“ „normales Nachrichtendienstgeschäft“: „Frau Dr. Baum, ihre Ahnungslosigkeit in Ehren. Wer in Deutschland deutsche Staatsbürger nach Afghanistan entführt, nach Guantanamo, diese Leute foltert über Monate hinweg und all das geschieht ungestraft seitens der deutschen Justiz, wer das Handy unserer Kanzlerin ungestraft abhören darf, da sage ich nur: Worüber wundern sie sich noch?“. Auf Nachfrage von Baum sagte Kiefer außerdem, der Verdacht liege nahe, dass die Amerikaner eine Vorahnung bezüglich 9/11 hatten. Kiefer sagte auch, einer der „Sauerländer“ habe „laut Flurfunk“ Unterstützung durch ein Landesamt für Verfassungsschutz erhalten („die haben sie vor die Wand laufen lassen“). Die „Geschichte der IJU und der Sauerländer“ sei durch BND, CIA/MI und MIT „aufgelegt“ worden, um eine Mehrheit für die Abhörgesetze im Oktober 2007 im Bundestag zu bekommen.

Auf Fragen von Wolfgang Drexler sagt Kiefer, er könne nicht sagen, ob das Observationsprotokoll des „Stern“ echt sei, da er nie mit solchen Formaten habe arbeiten dürfen und daher nicht wisse wie diese inhaltlich aufgebaut seien. Er habe sich nach seiner polizeilichen Vernehmung 2011 nicht an die Presse gewandt. Auf die Frage des Abgeordneten Weinmann, ob er der „Herr Maier“ sei der 2012 ein Gespräch mit der „TAZ“ geführt habe, antwortete Kiefer, daran könne er sich nicht erinnern, möglich sei das durchaus. Er selbst würde sich nicht als Verschwöungstheoretiker bezeichnen.

 

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