Der erste NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag – Eine kurze Einschätzung

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Nachdem vor kurzem der offizielle Abschlussbericht des Untersuchungsauschusses „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizistin M.K.“ publik wurde, veröffentlichen wir als Beobachter*innen hier eine kurze Einschätzung zum Verlauf des Ausschusses.

Als Mitglieder von „NSU-Watch BaWü“ haben wir die Aufklärungsversuche in Baden-Württemberg von Anfang an kritisch begleitet. Im folgenden Text möchten wir daher auf wichtige Themenfelder der Ausschussarbeit eingehen und insbesondere den Umgang der Parlamentarier*innen mit den Behörden einordnen.

Ein toter Zeuge und viel Aufregung

In den ersten Wochen und Monaten seiner Arbeit beschäftigte sich der Ausschuss vor allem mit dem Tod von Florian Heilig. Der 21-Jährige aus Eppingen (Landkreis Heilbronn) war im September 2013 in seinem, am Cannstatter Wasen in Stuttgart geparkten Auto, verbrannt – wenige Stunden vor einer geplanten Befragung des Neonazi-Aussteigers durch das LKA.

Dabei sollte es um extrem rechte Strukturen in Baden Württemberg und den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gehen. Bereits 2011 hatte sich eine Hinweisgeberin aus Heilbronn an die Polizei gewandt und ausgesagt, der damalige Krankenpflegeazubi kenne die Mörder von Kiesewetter.

Die Befragungen der für die Brandermittlungen zuständigen Polizeibeamt*innen zeichneten ein desaströses Bild. Viele Landtagsabgeordnete und große Teile der Öffentlichkeit waren schockiert über die schlampigen Ermittlungen und den Umgang der Behörden mit den Angehörigen des toten Zeugen. Auch die Arbeit der staatlichen Aussteiger-Initiative „Big REX“, mit der Heilig bis kurz vor seinem Tod Kontakt hatte, geriet in ein kritisches Licht. Investigative Journalisten machten zudem darauf aufmerksam, dass im Fall Heilig ausgerechnet der Kommissar ermittelte, der Jahre zuvor den Kontakt seiner Kollegen zum KKK vermittelt hatte.

Die offenkundigen Fehler der Polizei führten schließlich zur Einleitung von Disziplinarverfahren gegen zwei Polizisten und zur Wiederaufnahme des Todesermittlungsverfahrens durch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft.

Allerdings konnte der zunächst im Raum stehende Verdacht, Florian Heilig sei ermordet worden, im Laufe der UA-Arbeit nicht erhärtet werden. Weder Brandsachverständige oder Tatortzeugen noch medizinische Gutachter lieferten dafür Hinweise.

Nicht geklärt werden konnte, ob Florian Heilig durch Druck aus der rechten Szene in den Suizid getrieben wurde. Zwar wurden mehrere Zeug*innen aus der Szene durch den UA befragt. Die gaben sich aber wenig auskunftfreudig – vor allem als es um ihre eigene Rolle in der Szene und eine Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) ging, über deren angebliche NSU-Kontakte Florian Heilig berichtet hatte.

Unglaubliche Auftritte leisteten sich Beamte des Staatsschutzes, die immer wieder von „rechtspopulistischen Einzelpersonen“ sprachen und die Szene komplett verharmlosten. Wie die Zeug*innen aus der Neonaziszene trafen sie allerdings auf Abgeordnete, denen es für eine wirklich kritische Befragung an Motivation oder Vorbereitung zu mangeln schien.

Engagierter zeigte sich der UA, als es darum ging, eine Hausdurchsuchung bei der Familie des Verstorbenen zu veranlassen. Das Gremium versuchte damit, an Gegenstände aus dem verbrannten Auto zu kommen, für die sich die Polizei über ein Jahr lang nicht interessiert hatte bzw. die die Beamten bei der Untersuchung des Brandautos übersehen hatten.

Ein Ku-Klux-Klan in Baden-Württemberg

Im Anschluss an den Fall Heilig beschäftigte sich der Untersuchungsausschuss mit der Mitgliedschaft von Polizeibeamten in einer Schwäbisch Haller Ku-Klux Klan-Zelle, von der aus Verbindungen ins NSU-Umfeld bestehen.

Unklar ist bis heute der vollständige Umfang der „European White Knights of the Ku-Klux-Klan – Realm of Germany” (EWK/KKK). Nachgewiesen ist allerdings die direkte Mitgliedschaft von zwei Polizisten. Einer der beiden war am Tag ihrer Ermordung der Gruppenführer der Polizistin Kiesewetter.

Die beiden Beamten wurden vor dem Untersuchungsausschuss vernommen und gerieten dabei sichtlich unter Druck. Ebenso wurde bekannt, dass sich weitere Polizeibeamte im Umfeld der KKK-Zelle bewegten. Auch diese wurden vor dem Gremium vernommen. Massiv in Erklärungsnot geriet der Polizist Jörg B.. Er hatte über seinen Neonazi-Bruder Steffen B. Kollegen an den KKK vermittelt.

Abgesehen von der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Mitgliedschaft von Polizisten im Klan ergaben sich aber durch die Befragungen kaum weiterführende Erkenntnisse zu Klanstrukturen im Zusammenhang mit dem NSU.

Auch die Reaktion der Behörden auf das interne Bekanntwerden der EWK/KKK-Mitgliedschaft war im Ausschuss ein Thema. Es war in Folge von zeitlicher Verschleppung lediglich eine Rüge, eine überaus milde Sanktion, ausgesprochen worden. Die zuständige Beamten wiesen jegliche Verantwortung dafür von sich. Offenbar wollten die Verantwortlichen in den Behörden den Fall nicht zum öffentlichen Skandal werden lassen. Auch hier blieb der Untersuchungsausschuss letzlich auf Grund mangelnder Konfrontationsbereitschaft zahnlos.

Behandelt wurde vor dem Ausschuss zudem der Geheimnisverrat eines Mitarbeiters des Inlandgeheimdienstes, der einem Mitglied der Zelle von deren Überwachung berichtete.

Der Mord an Michèle Kiesewetter

Neben diesen Zusammenhängen war die Aufklärung des Mordes an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter eine der zentralen Aufgaben des Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg.
Nach dessen Ende kann festgehalten werden, dass kaum neue Erkenntnisse zu Tage gefördert wurden.

Noch bevor eine intensive Auseinandersetzung mit dem Heilbronner Mordfall stattfinden konnte, schlossen sich einige Parlamentarier*innen unkritisch der Theorie der Bundesanwaltschaft an. Demnach wurden Kiesewetter und ihr schwer verletzter Kollege zufällige Opfer der beiden Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Diese hätten sie als Repräsentanten des Staates attackiert.

Mögliche Verbindungen zwischen der organisierten Naziszene und der aus dem thüringischen Oberweißbach stammenden Polizeibeamtin Kiesewetter schließt das Gremium mittlerweile aus. Auch einen Zusammenhang zwischen den Aussagen mehrerer Zeug*innen, die in der Nähe des Tatorts blutverschmierte Männer sahen, und dem Mord auf der Theresienwiese hält der Ausschuss für unwahrscheinlich.

Zuvor waren Polizist*innen, Sachverständige und Freund*innen des Opfers befragt worden. Aufgrund welcher Fakten der Untersuchungsausschuss zu seinen Festlegungen im Fall Kiesewetter kommt, bleibt allerdings unklar. Die Befragung der geladenen Zeug*innen und die medienwirksame Begehung des Tatortes ergaben hinsichtlich des konkreten Tatablaufs auf der Theresienwiese wenig neues. Die schlechte Kenntnis der Akten und der bereits bekannten Fakten trugen ihren Teil dazu bei. Häufig erweckten die Fragen der Abgeordneten den Anschein, als müssten sie sich erst einen Überblick verschaffen und die Zeug*innen sollten ihnen dabei behilflich sein.

Die Aussage von Beate Zschäpe vor dem OLG München weckte laut Ausschussvorsitzendem Wolfgang Drexler (SPD) zwar noch einmal die Hoffnung der Abgeordneten auf Aufklärung. Doch es zeigte sich deutlich, dass die Aussage von Zschäpe genauso gehaltvoll wie ihr Schweigen war.

Auch nach Monaten der Bearbeitung des Mordfalls Kiesewetter durch den Ausschuss bleiben unserer Meinung nach viele Zweifel an der offiziellen Theorie der Bundesanwaltschaft bestehen. Anders als es der Abschlussbericht andeutet, kamen in Stuttgart unseres Erachtens kaum Belege für die Zwei-Täter-Theorie zu Tage.

Zahmer Umgang mit Landesbehörden

Trotz der Zahnlosigkeit, mit der der Ausschuss operierte, kam es im Laufe der Ausschussarbeit immer wieder zu Konflikten mit den baden-württembergischen Landesbehörden, insbesondere mit dem Innenministerium von Reinhold Gall (SPD). Dieser war von Anfang an kein Freund der NSU-Aufklärung gewesen und bemühte sich nun auch nach Einrichtung des Ausschusses nach Kräften, ihn zu behindern.

Die Palette der Angriffe auf die Ausschussarbeit reichte dabei von Verschleppung bis hin zu offenen Attacken. So wurden den Abgeordneten und ihren wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen beispielsweise große Teile der Akten vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) nur stark geschwärzt zur Verfügung gestellt. Zum Teil konnten sie nur in einem eigens eingerichteten Raum eingesehen werden.

Im Fall der Aufklärungarbeit um den Ku-Klux-Klan wurden zusätzlich mehrere Akten mit Bezug zu Klanstrukturen vom LfV erst gar nicht geliefert. Dieser Vorgang wurde zunächst damit begründet, man habe die Akten nicht für relevant für die Ausschussarbeit gehalten. Das löste zwar Proteste in den Reihen der Ausschussmitglieder aus, blieb aber letztendlich ohne nennenswerte Konsequenzen.

Weil Informationen über den Inhalt einer nichtöffentlichen Sitzung an die Presse gelangt waren, wurden in Folge eines Strafantrags aus dem Innenministerium zudem Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats eingeleitet. Bei diesem Vorgang wurden sämtliche Mitwirkende der Ausschussarbeit unter Generalverdacht gestellt.

Ihren Gipfel fanden die Behinderungen der Ausschussarbeit allerdings in dem Skandal um einen schriftlichen Hinweis eines baden-württembergischen Polizeibeamten. Dieser hatte in einem Brief an den Ausschussvorsitzenden den Aufklärungswillen der Behörden bezweifelt. Nachdem der Brief in nichtöffentlicher Sitzung thematisiert worden war, wurde von seiten des Innenministeriums ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten eingeleitet. Der bei allen Ausschusssitzungen anwesende Vertreter des Ministeriums hatte entgegen seiner Pflichten dem Ausschussgegenüber die entsprechenden Informationen weitergegeben.

Die Reaktionen des Ausschusses auf diesen direkten Angriff auf die Ausschussarbeit waren denkbar zahm: Statt den Konflikt mit dem Innenministerium zu suchen, beschränkte man sich darauf, dessen Vertreter künftig von der nichtöffentlichen Besprechung von Hinweisen aus der Bevölkerung auszuschließen und ihnen keine Briefe von Bürger*innen an den Ausschuss mehr zukommen zu lassen.

Wenig aus den Möglichkeiten gemacht

Dieses Vorgehen steht gewissermaßen symbolisch für die gesamte Ausschusstätigkeit. Zwar boten sich dem Untersuchungsausschuss größere Möglichkeiten zur Aufklärung als der vorangegangenen Enquete-Komission. Doch auch ein scharfes Schwert will geschwungen werden.

All zu oft beschränkten sich die Abgeordneten auf wenig brisante Fragen und gaben bei offensichtlich geringer Gesprächsbereitschaft ihrer Zeug*innen schnell klein bei.
Lange Zeit drehte sich die Ausschussarbeit zudem um wenig relevante Nebenschauplätze wie den tragischen Tod des jungen Florian Heilig. Es entstand immer wieder der Eindruck, man wolle auf diesen Feldern Erfolge demonstrieren ohne wirklich brisante Details aufklären zu müssen.

Gerade in der Auseinandersetzung mit den baden-württembergischen Landesbehörden mangelte es sichtlich an politischem Aufklärungswillen. Auch das nötige Fachwissen für eine wirkliche Konfrontation der geladenen Zeugen und eine sinnvolle Gestaltung der Aufklärungsarbeit schien großen Teilen der Mitwirkenden zu fehlen.

Nachdem der Untersuchungsausschuss schon mit Verzug mit dem Studium der Akten begonnen hatte, geriet er gegen Ende mehr und mehr unter Zeitdruck. Die Empfehlung an den nächsten Landtag, einen weiteren Ausschuss zum Thema einzurichten, bewahrte die Parlamentarier*innen schließlich vor dem völligen Scheitern.

Es steht unserer Meinung nach allerdings zu befürchten, dass der nächste Ausschuss sich als genau so zahnlos erweisen könnte wie der erste, sollte sich an der politischen Konstellation nicht maßgeblich etwas ändern.

Den eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden

Allerdings war nicht nur die Arbeit des Untersuchungsausschusses unbefriedigend. Die Arbeit von „NSU-Watch Baden-Württemberg“ war das leider auch. Wir wurden unseren eigenen Ansprüchen in vielen Punktennicht gerecht.

Auf Grund einer sehr dünnen Personaldecke war es uns beispielsweise nicht möglich, die für die Ausschusssitzungen angestrebten Protokolle zu verfassen. Antworten auf E-mail-Anfragen ließen auf sich warten und ein anfangs genutztes Pressehandy wurde nach geraumer Zeit wieder abgeschaltet. Einzig unsere relativ detaillierte Twitter-Berichterstattung funktionierte (bis auf eine Ausnahme) reibungslos.

Alle Aufrufe und Appelle an die organisierte antifaschistische Bewegung in Baden-Württemberg zur Unterstützung unseres Projekts blieben bis zuletzt erfolglos. Kaum jemand fand sich bereit, einen Tag zur Beobachtung einer Ausschusssitzung oder zur Unterstützung von „NSU-Watch Baden-Württemberg“ zu opfern.

Neben knappen zeitlichen Ressourcen ist das unseres Erachtens auf ein offensichtliches Desinteresse zurückzuführen. Während man sich beim Verfassen des neusten Flyers oder Demoaufrufs gerne eines Hinweises auf die staatliche Verstrickung in den NSU-Komplex bedient, hat offensichtlich kaum jemand ernsthaftes Interesse daran sich mit der Thematik zu befassen. Die auch bei antifaschistischen Demonstrationen gern geäußerten Vorwürfe, die Regierung sei nach der Aufdeckung der rassistischen Mordserie des NSU schnell wieder zur Tagespolitik übergegangen, werden so hohl und unglaubwürdig. Denn dieser Vorwurf trifft ebenso auf große Teile der antifaschistischen Linken in Baden-Württemberg zu – von einigen Ausnahmen abgesehen.

Zeitweise saßen so auf der Zuschauer-Tribüne des Untersuchungsausschusses mehr Angehörige von Polizei und Inlandsgeheimdienst als kritische Beobachter*innen.Das ist peinlich, traurig und beschämend zugleich.

NSU-Watch BaWü, im Februar 2016

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