Bericht von der zweiten Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Stuttgart am 19. September 2016

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Bericht von der zweiten Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Stuttgart am 19. September 2016

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss in Baden Württemberg hat seine Arbeit aufgenommen. Am Montag, den 19. September 2016, kam das Gremium zu seiner ersten öffentlichen Sitzung im Stuttgarter Landtag zusammen. Dabei ging es sowohl um den rassistischen Ku Klux Klan und um Strukturen der rechtsextremistischen Szene als auch um die Anwesenheit ausländischer Dienste bei der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007.

Zunächst wurde der Politikwissenschaftler Dr. Thomas Grumke von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen gehört. Dabei ging es vor allem um den Geheimbund „Ku Klux Klan“ (KKK), zu dem Grumke nach eigenen Angaben intensiv geforscht hat.
Der Zeuge berichtete von der Gründung und den Anfängen des amerikanischen Klans und benannte dessen Ideologie als militanten Rassismus und Streben nach einer „weißen Vorherrschaft“ (white supremacy). Grumke führte aus, dass verschiedene Klan-Strukturen zu unterscheiden seien.
Ein erster Klan habe von 1865 bis 1877 existiert und sei auf die Südstaaten fokussiert gewesen. Die Phase des zweiten Klans könne auf die Zeit von 1915 bis 1944 fest gelegt werden, dabei habe der Film „Birth of a nation“ eine wichtige Rolle gespielt. Dieser zweite Klan habe im Gegensatz zum ersten die gesamten Staaten erfasst und sei eine Massenbewegung gewesen. Den dritten Klan habe es dann von 1944 bis 1967 gegeben, dies sei der am wenigsten einflussreiche Teil des KKK gewesen. Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre hätten dann ein vierter und ein fünfter Klan nebeneinander existiert. Der vierte Klan sei seit Ende der 1970er Jahre um David Duke herum aktiv gewesen, der den Klan massen- und medientauglich machen wollte.
Der fünfte Klan ab Anfang der 1980er Jahre sei dann von Louis Beam angeführt worden und habe die Rolle als weiße Avantgarde im Rassenkrieg betont und auch gegen den vierten Klan agitiert.

Heute würden beide Strömungen in den USA nebeneinander existieren. „Sie mögen sich nicht“, führte Grumke aus. Laut des „Southern Poverty Law Centre“ gebe es fünf bis sechs Tausend Klansmen in ca. 30 Gruppen, der Klan sei aber nur ein „Schatten seiner selbst“, eine isolierte und fragmentierte Gruppe, in der es auch starke Unterschiede in taktischen Fragen gebe („weiße Revolution oder Fernsehtauglichkeit“). Es gebe eine starke Aufsplitterung in stark regionalisierte Untergruppen. Trotzdem könnten einzelne Klan-Mitglieder sehr gefährlich sein, insbesondere da in den USA andere Regelungen zum Waffenbesitz gelten würden. Grumke verwies auf Louis Beam und das Konzept vom „leaderless resistance“.

In Deutschland habe es erste Ableger schon in den 1920er Jahren gegeben, berichtete Grumke. Er sehe aber „keine ernste Anschlussfähigkeit zu Deutschland, auch wenn es immer wieder Versuche gegeben hat“. Grumke erwähnte die Deutschlandreise von Dennis Mahon 1991 und ein großes Skinheadtreffen in Brandenburg bei einem „Noie Werte“/„Screwdriver“- Konzert. Dort sollte eine Initialzündung für den Klan sein, das habe aber nicht funktioniert.
Bezüglich der „European White Knights of the Ku Klux Klan“ (EWK KKK), den es 2000-2002 im Bereich Schwäbisch Hall gegeben habe, verwies Grumke auf bereits vorliegende Berichte des Landespolizeipräsidiums. Die Beteiligung von Polizisten am EWK KKK bezeichnete Grumke als „im groben Maße problematisch“. Da er selbst nicht in Baden Württemberg lehre, würde er sich bei der Bewertung etwas zurückhalten. „Aber die gehören natürlich entlassen“, ließ Grumke die Abgeordneten wissen. Er erwähnte auch eine Reise zu Klan-Leuten in den USA, die der EWK KKK-Gründer Achim Schmid abgelehnt habe und die dann der V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ als „Dienstreise“ angetreten habe. Grumke verwies außerdem auf weitere Kontakte zwischen der Szene in der BRD und der USA, so z.B. über William Pierce oder Gary Lauck. Pierce sei in den 1990er Jahren etliche Male in Deutschland gewesen, u.a. als „Star-Gast“ der Bundes-NPD. Der Ku Klux Klan habe als Organisation aber nie eine Bedeutung im Rechtsextremismus erlangt.

Zu Verbindungen zwischen KKK und dem NSU zählte Grumke Kreuzverbrennungen im Sommer 1995 nahe Jena, an denen auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Ralf Wohlleben beteiligt gewesen seien. Er sehe darin aber eher eine „Faszination der Symbolik“ und weniger eine KKK-Veranstaltung, meinte Grumke. Er habe ansonsten keine Erkenntnisse über den „Komplex Michèle Kiesewetter“, die über den Inhalt bisheriger Berichte herausgehen würden. Grumke bezog sich hierbei auch auf die öffentliche Version des „Corelli-Berichtes“ von Jerzy Montag.

Die KKK-Mitgliedschaft des Neonazis Markus Frntic sei ihm nicht bekannt, sagte Grumke. Zu Dennis Mahon äußerte der Zeuge, es habe einen „Umzug“ im Wald in Brandenburg gegeben, bei dem auch Carsten S. alias V-Mann „Piatto“ beteiligt gewesen sei, ob dieser aber eine steuernde Funktion inne gehabt habe, entziehe sich aber seiner Erkenntnis. Als er auf Schmierereien bzw. rassistische Übergriffe angesprochen wurde, bei denen auch KKK-Symbole verwendet wurden, entgegnete Grumke, er bezweifle, dass die Täter die Hintergründe des KKK erklären könnten, wenn man sie danach fragen würde. Vielmehr sei es wohl so, dass man die Symbolik des Klans interessant fände.
Auch bzgl. einer Aktion 1992, als ein KKK-Kreuz vor einer Asylbewerberunterkunft in Pliezhausen aufgestellt worden sei, bezweifelte Grumke eine „tief sitzende Motivation“ in Bezug auf den Klan. Die Rechtsextremen hätten vielmehr bereits eine entsprechende Weltanschauung und würden den Klan dann als zusätzliches Element nutzen.

Grumke äußerte sich auch zum „panarischen Nationalismus“, gerade in den Führungsgremien der Rechtsextremen gehe es ideologisch um das Überleben der „weißen Rasse“ (William Pierce: „your skin ist your uniform“). In diesem Zusammenhang verwies Grumke auch auf antisemitische Verschwörungstheorien und sprach von einer „Internationale der Nationalisten“.

Zur Frage nach Konsequenzen bzw. Lehren im Bezug auf die staatlichen Behörden und die Rolle von V-Leuten sagte Grumke, es brauche mehr analytische Kompetenz und mehr Personal, dies seien für ihn die „Kernpunkte“. Berichte seien beim Verfassungsschutz nicht entsprechend ausgewertet und verknüpft worden. Im Bereich Islamismus/Salafismus habe es in den letzten Jahren bei den Behörden Veränderungen gegeben (z.B. bzgl. Fremdsprachenkenntnisse), aber wohl nicht im Bereich Rechtsextremismus. Die Schlüsse aus 9/11 seien nicht die gleichen gewesen wie die, die aus den NSU gezogen worden seien. Eine „Verwendungsbreite“ der Beamten werde als Qualitätskriterium angesehen anstatt analytische Tiefe und Expertise.

Nach seiner Einschätzung der rechtsextremen Szene gefragt, antwortete Grumke unter anderem, dynamische Bereiche des Rechtsextremismus seien zum einen die Autonomen Nationalisten und zum anderen die Identitären bzw. der Dritte Weg. Nicht mehr die Parteienpolitik wie bei NPD und DVU habe Zukunft, sondern eine „Politik des Ressentiments“ und ein Modell der „Identität“. Als Beispiel führte Grumke die Äußerung von Alexander Gauland (AfD) über den Fußballspieler Jerome Boateng an. Das sei ein Ressentiment, sagte er. Die AfD-Abgeordnete Christina Baum lächelte dabei auffallend.
Ein Teil von 15 bis 20 Prozent der Gesellschaft werde von dieser „Politik des Ressentiments“ angesprochen, die Nachfrage sei schon länger da und jetzt sei ein Angebot dafür da. Grumke sprach auch von einem „Normalisierungseffekt“ im Bezug auf rechtspopulistische bzw. rechtsextreme Kräfte in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.

Ein bemerkenswerter Moment der Vernehmung war die Frage der AfD-Abgeordneten Christina Baum, die von Grumke wissen wollte, wie er die zunehmende Gewaltbereitschaft von Linksextremisten bewerte. Dabei erwähnte Baum einen Brandanschlag auf das Auto von Frauke Petry (AfD), in dem diese auch ihre Kinder transportiere. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) intervenierte aber, da die Fragestellung nicht vom Auftrag des Ausschusses erfasst sei.

Als zweites wurde vom Ausschuss in nicht-öffentlicher Sitzung ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) vernommen. Dabei ging es um die mögliche Anwesenheit ausländischer Dienste am Tag der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn am 25. April 2007. Medien hatten berichtet, dass Vertreter einer US-amerikanischen Behörde möglicherweise während der Tat auf der Theresienwiese gewesen seien. Daraufhin soll es zur Kommunikation zwischen US-Geheimdienst und deutschen Behörden gekommen sein.
Nach der Vernehmung gab Wolfgang Drexler für den Ausschuss gegenüber der Presse ein Statement ab. Dabei sagte Drexler, dass er den BND-Mitarbeiter gerne öffentlich vernommen hätte, aber dafür keine Genehmigung vom BND bekommen habe – auch nicht nach Rücksprache mit dem Bundeskanzleramt.
Der BND-Mitarbeiter habe in der nichtöffentlichen Sitzung Auskunft über ein Telefonat gegeben. Dabei habe ein ausländischer Dienst Kontakt zu einer deutschen Behörde aufgenommen. Als Ergebnis der Zeugenvernehmung habe der Ausschuss nun beschlossen, drei weitere Zeugen zu laden. Dabei handele es sich um Mitarbeiter von BND, Militärischem Abschirmdienst (MAD und Bundeskriminalamt (BKA).

Im Anschluss wurde der Sachverständige Prof. Samuel Salzborn von der Uni Göttingen gehört. Er gab zunächst einen Überblick über das Phänomen Rechtsextremismus aus sozialwissenschaftlicher Sicht und verdeutlichte anhand mehrerer Modelle, wie man sich die Strukturierung der Szene vorstellen kann.
Salzborn skizzierte dann das Klima in der Bundesrepublik Anfang der 1990er Jahre mit der starken öffentlichen Präsenz von Rechtsextremisten, alltäglicher Gewalt, Pogromen, einer rechtsextremen Skinheadszene und neonazistischen Demonstrationen. Es habe damals einen Trend zur Militanz und Gewalt und zur Subkulturalisierung gegeben, zentrales Kampagnenthema der Rechtsextremen sei die „Überfremdung“ gewesen. Diese „Überfremdungskampagne“ sei völkisch und kulturalistisch gegen die multikulturelle Gesellschaft gerichtet gewesen. Salzborn zeigte auf, wie die Rechtsextremen sich in einem gesellschaftlichen Klima bewegten, in dem eine rassistische Grundstimmung vorherrschte, es auch Medienhetze gegen Migrant*innen gab und das Asylrecht deutlich verschärft wurde.
Den NSU als isoliertes „Trio“ zu sehen, bezeichnete Salzborn aus politikwissenschaftlicher Sicht als „unsinnig“. Er verwies immer wieder auf die netzwerkartigen Strukturen um die „Kerngruppe“ herum.

Zum Thema Baden Württemberg führte Salzborn aus, dass auch hier in den 1990er Jahren eine rassistische Grundstimmung vorhanden gewesen sei. Unter anderem verwies er auf die Wahlerfolge der „Republikaner“ (REP) und auf verschiedene Brandanschläge bzw. rassistische Ausschreitungen wie bspw. in Mannheim-Schönau. Baden Württemberg sei in den 90er Jahren ein wichtiger Kristallisationspunkt der rechtsextremen Szene gewesen. Salzborn erwähnte in diesem Zusammenhang u.a. den „Ring Nationaler Frauen“ (RNF), die „Nationalische Front (NF), die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) den Grabert/Hohenrain-Verlag in Tübingen, die „Gesellschaft für Freie Publizistik“ (GfP) und Burschenschaften in Heidelberg.

Salzborn verwies u.a. auf 1000 Objekte, die auf einer 10.000er Liste des NSU gestanden hätten und auf zahlreiche Besuche des NSU in den 1990er Jahren in Stuttgart und Ludwigsburg.
Dass das baden-württembergische Innenministerium vor diesem Hintergrund eine netzwerkartige Struktur bezweifle, irritiere ihn, meinte Salzborn. Hier bestehe seiner Meinung nach ein dringender Revisionsbedarf im normativen Verständnis bzgl. der Strukturen in Baden Württemberg. Es habe sehr wohl netzwerkartige Unterstützungsstrukturen gegeben, die den „harten Kern“ mitgetragen hätten. Salzborn sprach dabei u.a. die Band „Noie Werte“ und die Bandmitglieder Andreas G. und Steffen H. an. H. habe Ende 2011 in derselben Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet wie Nicole Schneiders, die jetzt Ralf Wohlleben beim NSU-Prozess in München verteidigt. Schneiders sei in Jena in der NPD aktiv und Mitglied der HNG gewesen. Sie sei außerdem eine Mitbewohnerin von Christian Hehl in Mannheim gewesen, der eine Schlüsselfigur der Szene gewesen sei und u.a. 1993/94 die FAP Rhein Neckar mitgegründet habe. Schneiders sei als 16-jährige Schülerin bei einer FAP-Veranstaltung aufgefallen. Salzborn charakterisierte die FAP als Kaderschmiede des deutschen Rechtsextremismus, deren Kader sich z.T. über Jahrzehnte kennen würden.
In Bezug auf die Ludwigsburg-Besuche des NSU sagte Salzborn, insbesondere die Tatsache, dass Uwe Mundlos von den Waffen der „Spätzles“ geschwärmt habe, sei aufschlussreich, da daran eine intensive Verbindung von Neonazis in Baden Württemberg und dem NSU abzulesen sei aufgrund des Grades der Vertrautheit zwischen ihnen. Salzborn erwähnt außerdem die bundesweit bekannte RNF/NPD-Aktivistin Edda Schmidt aus Baden Württemberg und Michael S., der in Jena bei der Burschenschaft Normannia aktiv gewesen sei, in der auch Christian K. und weitere Angehörige des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) waren.

Zu Theorien, dass der Mittwoch als mythologischer „Wotanstag“ eine Rolle gespielt habe, oder dass die Taten des NSU in den jeweiligen Städten die Szene zu Taten anstacheln wollte, äußerte sich Salzborn deutlich zurückhaltend. Er sehe es skeptisch, solche Symboliken zu überdeuten und warnte auch davor, den NSU nicht im Nachhinein zu überschätzen. Dabei erwähnte der Sachverständige auch die Ikonisierung, die Beate Zschäpe vor dem Münchner OLG betreibe.

Zur Frage nach dem Einsatz von V-Leuten in der Szene, äußerte Salzborn klar seine „ausgesprochen skeptische Haltung“. Der Informationsgewinn sei in der aktuellen konkreten Situation ausgesprochen marginal. Journalist*innen und zivilgesellschaftliche Gruppen würden z.T. mehr wissen als die V-Leute. Gleichzeitig nutze die rechtsextreme Szene V-Leute aus Finanzierungsgründen und um Infos darüber zu bekommen, was die Behörden bereits wussten.
Salzborn verdeutlichte außerdem die Gefährlichkeit der aktuellen Situation mit einem verschärften politischen Klima. Es sei ausgesprochen wahrscheinlich, dass aktuell wieder klandestine Vernetzungen entstehen könnten, hierbei verwies Salzborn auf Beispiele in Freital und die „Oldschool Society“ (OSS) und auch auf die lange Geschichte des Rechtsterrorismus in der BRD.

Die Vernehmung des vierten Zeugen, Herr K., der Mitarbeiter eines US-amerikanischen Dienstes war, kam nicht zustande. K. habe sich heute Mittag entschuldigt, verkündete Drexler. Da K. bereits im ersten NSU-Untersuchungsausschuss zweimal nicht zur Vernehmung erschienen war, wird der Ausschuss laut Vorsitzendem Wolfgang Drexler (SPD) ein Ordnungsgeld gegen den Mann verhängen.

Wie geht es weiter?
Der Ausschuss kündigte an, sich nun ein „Arbeitsprogramm“ zu geben. Unter anderem sei die Vernehmung des EWK KKK-Gründers und ehemaligen V-Manns Achim Schmid geplant, der sich wohl in den USA aufhält.

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