Bericht von der fünften Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Stuttgart am 2. Dezember 2016

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Das Thema einer möglichen Anwesenheit US-amerikanischer Dienste während der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn am 25. April 2007 beschäftigte den Untersuchungsausschuss auch in seiner fünften Sitzung am 2. Dezember 2016. Alle bisherigen Zeugenvernehmungen konnten allerdings die auf einen „Stern“-Artikel zurückzuführende These eines „Mordes unter den Augen des Gesetzes“ nicht erhärten. Trotzdem sind zu diesem Komplex weitere Vernehmungen geplant. Der Ausschuss befasste sich in der fünften Sitzung außerdem mit den Ermittlungen des BKA und des LKA zu möglichen weiteren Taten des NSU in Baden-Württemberg. Gleichwohl ergaben die Vernehmungen der BeamtInnen diesbezüglich keine weiterführenden Hinweise.

Als erster Zeuge wurde der Leitende Kriminaldirektor und Staatsschutz-Abteilungsleiter Hans Matheis vom LKA gehört. Er berichtete zunächst über die Auswertung von ungeklärten Banküberfällen in Baden-Württemberg. Die Soko Parkplatz habe die von 2006 bis 2008 in Baden-Württemberg begangenen ungeklärten Raubüberfälle auf einen Zusammenhang zum NSU hin überprüft. Die EG Rechts habe die Auswertung für die Jahre 1998 bis 2005 und 2009 bis Oktober 2011 durchgeführt.
Von rund 750 ausgewerteten Fällen seien 70 festgestellt worden, die wegen Tätereigenschaften, modus operandi, verwendeten Waffen etc. zur genauen Überprüfung an die ursprünglich sachbearbeitenden Dienststellen gegeben worden seien. Diese Dienststellen hätten dann die Akten mit den durch das LKA versandten Recherchekriterien abgeklärt. „Die Rückmeldungen ergaben keine konkreten Anhaltspunkte für eine Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt.“ In 3 Fällen seien die Ermittlungsakten beigezogen und ausgewertet worden, da einige Kriterien übereinstimmt hätten. Da sich eine NSU-Täterschaft in diesen Fällen nicht sicher habe ausschließen lassen, seien diese Fälle an die BAO Trio beim BKA übersandt worden. Von dort habe er keine Rückmeldung bekommen, so dass er davon ausgehe, dass das nicht zu einer weiteren Feststellung bzgl. des NSU geführt habe.

Dann erörterte Matheis die Arbeit der „AG Fallanalyse“. Durch das „Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus“ beim BKA sei eine Konzeption entwickelt worden, um bisher ungeklärte Delikte der allgemeinen und schweren Gewaltkriminalität bundeseinheitlich auf eine bislang nicht erkannte rechtsgerichtete Motivation zu überprüfen. Der Straftatenkatalog habe folgende Delikte erfasst: Tötungsdelikte, Brand- und Sprengstoffdelikte, Waffen- und Sprengstofffunde, Vereinigungsdelikte und Raubüberfälle auf Geldinstitute.
Die Innenministerkonferenz habe im Mai 2012 beschlossen, dass in der „Phase 1“ zunächst ungeklärte Tötungsdelikte (Mord und Totschlag) ohne Tatverdächtige unter Einbeziehung der sogenannten „Opferliste“ („Jansen-Liste“) überprüft werden sollten. Der Überprüfungszeitraum habe sich vom 1. Januar 1990 bis zum 31. Dezember 2011 erstreckt. In Baden-Württemberg seien von den örtlichen Dienststellen insgesamt 386 Fälle betrachtet worden, darunter 178 Morde und 208 Totschlag-Fälle und zusätzlich 5 Fälle aus der „Opfer-Liste“. Dies sei anhand der Kriterien des BKA mit einem standardisierten Erfassungsformular geschehen. Es sei dann zur Meldung von 214 Straftaten gekommen. Aus der Überprüfung beim BKA hätten dann 34 sogenannte Kreuztreffer resultiert, davon 6 aus dem Bereich des Geodatenabgleichs. Diese hätten sich in keinem Fall als verfahrensrelevant erwiesen und hätten keine neuen Ermittlungsansätze gebracht.
Der Verfassungsschutz sei in die Überprüfungen nicht eingebunden gewesen.
Auf die Frage, ob er die Aussage des Journalisten Frank Jansen nachvollziehen könne, wonach es sich bei den Taten der „Jansen-Liste“ nur um eine „Teilmenge“ mit einer hohen Dunkelziffer handle, antwortete Matheis: „Für Baden-Württemberg kann ich das nicht nachvollziehen“. Sie hätten die 5 Fälle überprüft.
Die Überprüfungen seien von Sachbearbeitern aus dem Sachbereich Tötungsdelikte unter Hinzuziehung der Staatsschützer in den örtlichen Dienststellen durchgeführt worden. „Niemand bei uns, weder meine Sachbearbeiter noch ich, haben die einzelnen Akten gelesen. Also müssen wir uns auf das verlassen, was vor Ort durchgeführt wurde und da habe ich ein hohes Maß an Vertrauen“.

Der AfD-Abgeordnete Fiechtner wollte von Matheis wissen, ob die Untersuchung der ungeklärten Tötungsdelikte ergebnisoffen gewesen sei und auch „andere Verortungen“ hätte offen legen können. Matheis entgegnete, seine Kollegen würden akribisch arbeiten und sie hätten eine ganz andere Spur oder Richtung sicherlich nicht beiseite gelegt, nur weil der Auftrag in Richtung eine eventuellen rechten Motivs lautete. Davon sei ihm aber nichts bekannt geworden.
Matheis führte außerdem aus, sie hätten in Baden-Württemberg auch 29 Mord- und Totschlagsfälle, die bereits im Zeitraum 1990 bis 2011 als PMK Rechts eingestuft worden seien, mit dem Datenbestand der BAO Trio abgeglichen – ohne Ergebnis.

Der Zeuge erläuterte dann, auch der legale Waffenbesitz bekannter Rechtsextremisten in Baden-Württemberg sei überprüft worden. Das sei eine „geringe zweistellige Zahl“ gewesen und bei denen sei eine behördliche Überprüfung bzgl. der Aufbewahrung der Waffen und der Zuverlässigkeit gemacht. Das habe in keinem Fall zu einer Versagung oder einem Entzug geführt.

Zu einer Roma-Mordserie in Ungarn in den Jahren 2008 und 2009 mit 10 rassistisch motivierten Anschlägen durch 3 Haupttäter und der Vermutung, dass sich die ungarischen Täter an deutschen Neonazis orientiert hätten, sagte Matheis, diese Dinge seien nicht überprüft worden.

Matheis wurde auch zum im Zwickauer Brandschutt gefundenen Stadtplan von Stuttgart mit Kennzeichnungen gefragt, erklärte dazu aber, er sei auf diese Frage nicht vorbereitet. Auch zur Zusammenarbeit mit der „Soko Flagge“ könne er nichts sagen. Zwischen der „Soko Blume“ und der BAO Trio beim BKA habe ein intensiver Austausch stattgefunden und das sei alles negativ verlaufen. Zu Details der „Soko Blume“ könne er aber keine Auskunft geben. Zu einem Anschlag auf eine Moschee in Schwäbisch Hall in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 2004 sagte Matheis, er könne nicht auswendig sagen, ob der Fall auch untersucht worden sei.
Bezüglich einer eventuellen Überprüfung von Fällen aus dem Bereich des Kindesmissbrauchs nach dem Bekanntwerden der Zusammenhänge im Fall „Peggy“ erklärte Matheis, da sei „im Gremienweg“ etwas in Vorbereitung.

Im Anschluss wurde die Kriminalhauptkommissarin Bettina Fischer vom LKA als Zeugin gehört. Sie hat für den regionalen Ermittlungsabschnitt der BAO Trio den im Brandschutt der Zwickauer NSU-Wohnung gefundenen ADAC-Stadtplan von Stuttgart abgeklärt. Dort seien verschiedene Markierungen und Kreise u.a. in der Innenstadt und in Bad Cannstatt vorhanden gewesen. In einem ersten Schritt habe man überprüft, ob es in diesen Bereichen Banken oder Postfilialen gegeben habe und da das überwiegend der Fall gewesen sei, habe man die Spur weiter verfolgt. Es habe sich dann aber herauskristallisiert, dass im Stadtplan eher politische Einrichtungen (SPD-Büros, CDU-Büros, türkische Vereine) markiert gewesen seien. Mit den ungeklärten Raubüberfällen habe es hingegen keine Übereinstimmungen gegeben. Die Tatsache, dass im Stadtplan auch die Werastraße in Stuttgart markiert worden sei, in der sich die Rechtsanwaltskanzlei des „Noie Werte“-Sängers Steffen Hammer befindet, habe nicht sie, sondern die Staatsschutzabteilung weiter verfolgt. Sie selbst sei nur für den Bereich Raubüberfälle zuständig gewesen, erklärte Fischer.
Den Zeitraum des Erscheinens des Stadtplanes habe man auf die Jahre 2002 bis 2004 („maximal Anfang 2005“) eingrenzen können.

Fischer führte weiter aus, man habe auch ungeklärte Raubüberfälle weiter untersucht, um auszuschließen, dass dafür der NSU in Frage komme. Dabei seien 328 Raubüberfälle zwischen 2006 und 2008 untersucht worden. Einige Fälle habe man schnell ausschließen können, bei einigen habe man genauer hinschauen müssen und bspw. Aufnahmen mit Fotos von Mundlos und Böhnhardt verglichen. Nach Anwendung der Recherchekriterien seien 17 Fälle übrig geblieben. Um diese hätten sich dann die örtlichen Polizeidirektionen anhand der Recherchekriterien gekümmert und die Ergebnisse zurückgemeldet. Man sei schließlich zu dem Gesamtergebnis gekommen, dass eine Beteiligung des NSU an einem ungeklärten Raubüberfall „sehr unwahrscheinlich“ sei.

Im Anschluss wurde der Kriminalhauptkommissar Rainer Drews gehört, der seit 1994 beim BKA in der Abteilung Staatsschutz tätig ist und ab 17. November 2011 zum Führungsstab der BAO Trio zählte. Seit dem 14. April ist er in der „Zentralstelle für politisch motivierte Kriminalität Rechts“ eingesetzt und unter anderem mit der Leitung der Arbeitsgruppe Fallanalyse beauftragt.
Drews erklärte zur Gründung der AG Fallanalyse zunächst, dass diese aus der Einsicht heraus entstanden sei, dass die Behörden der Länder und des Bundes im Fall NSU die politisch rechte Motivation der Taten nicht erkannt hätten. Die AG Fallanalyse habe den Auftrag, Fälle der schweren Allgemeinkriminalität auf einen etwaigen rechten Hintergrund zu untersuchen und befasse sich mit Fällen, die die jeweilige polizeiliche Dienstelle bislang nicht als rechte Tat gewertet hätten. Ziel der Überprüfungen der AG Fallanalyse sei es insbesondere, Taten mit einem mit dem NSU vergleichbaren Modus operandi zu identifizieren und auf einen eventuellen rechten Hintergrund oder Verbindungen zum NSU zu überprüfen. Die Fallanalyse erfolge unabhängig von den Ermittlungsverfahren in den Ländern und generiere autark eigene Ermittlungsansätze. Daran seien ausschließlich Vertreter der Polizeien der Länder und des Bundes beteiligt unter der alleinigen Geschäftsführung des BKA. Drews beschrieb dann das Vorgehen der sogenannten Altfallanalyse. Zunächst seien ab Januar 2012 Kriterien für die überprüfenswerten Altfälle definiert und ein Straftatenkatalog aufgestellt worden. Das seien Tötungsdelikte, Brand- und Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle auf Banken und Sparkassen, Strafteten gegen das Waffen,- Sprengstoff- und Kriegswaffenkontrollgesetz und Bildung krimineller Vereinigungen. Der Untersuchungszeitraum sei von 1990 bis 2011 gewählt worden.
Eine Straftat werde dann als PMK Rechts eingeordnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie gegen eine Person gerichtet sei wegen ihrer Herkunft/Nationalität, Volkszugehörigkeit usw. und die Tathandlung in Kausalzusammenhang damit stehe. Diese Definition sei nur der Ausgangspunkt gewesen, man habe die Kriterien dann fortentwickelt. Es habe ein Workshop mit Polizeivertretern und Wissenschaftlern statt gefunden. Im Ergebnis habe man Straftaten in den Blickpunkt genommen, bei denen Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie gegen eine Person gerichtet seien wegen ihrer Herkunft, Nationalität, Volkszugehörigkeit, ethnokulturellen Zugehörigkeit oder Hautfarbe, Religion, politischen Einstellung, äußeren Erscheinungsbildes oder Kleidung, Behinderung, sexuellen Orientierung, Ehe oder Beziehung mit ausländischen Partnern, ihrer Funktion als staatliche Repräsentanten, als Angehörige ausländischer Streitkräfte, wegen ihres gesellschaftlichen Status, wegen Bekanntwerden als Sexualstraftäter oder als Angehörige eines kriminellen Milieus. Hinzu komme die Bedingung, dass die Tathandlung damit in Kausalzusammenhang stehe könne. Es seien auch „weiche“ Kriterien herausgearbeitet worden, z.B. wenn der Täter irrtümlich im Opfer ein Feindbild verwirklicht sah oder es verwechselte.

In einer ersten Phase habe man die nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ungeklärten Fälle überprüft. Die im „Tagesspiegel“ und der „Zeit“ publizierte sogenannte „Jansen“-Liste mit 137 Opfern umfasse aufgeklärte Delikte. Von dieser Liste seien 117 Opfer in den Datenabgleich einbezogen worden.
Die Bewertungshoheit habe weiterhin bei den zuständigen Dienststellen gelegen, führte Drews aus. Man habe deshalb ab dem 30. Juli 2012 die von den Dienststellen gelieferten Fälle einem Datenabgleich unterzogen und die Fälle auf Übereinstimmungen überprüft. Insgesamt seien 745 Altfälle in den Datenabgleich einbezogen worden. Manche Länder hätten gar keinen bzw. einen oder zwei Fälle gemeldet, Baden-Württemberg habe mit 209 Fällen bundesweit die meisten Meldungen aufzuweisen. U.a. seien 3850 Personendatensätze und 138 KFZ-Daten in den Abgleich einbezogen worden. Der Abgleich sei mit über 600 Dateien erfolgt, auf die das BKA Zugriff habe. Am 11. Februar 2014 habe das BKA allen Ländern mitgeteilt, dass der Abgleich beendet sei. Alle Trefferergebnisse seien aufbereitet und den Ländern zur Verfügung gestellt worden. Nach Baden-Württemberg habe man 34 Treffermeldungen versandt. Die Länder seien darum gebeten worden, dem BKA eine standardisierte Rückmeldung zu geben, ob es zu neuen Ermittlungsansätzen oder einer Umbewertung eines Falles als PMK Rechts gekommen sei oder ob sich ein Bezug zu einer NSU-Tat ergeben habe. Die Abarbeitung aller 240 bundesweit versandten Treffer habe keine Verfahrensrelevanz ergeben, es sei also zu keinen neuen Ermittlungsansätzen und zu keiner Umbewertung eines Falles gekommen und es sei kein Bezug zum NSU nachgewiesen worden.

Zur praktischen Durchführung in Baden-Württemberg führte Drews dann aus, alle ungeklärten Tötungsdelikte (Mord und Totschlag) seien anhand der PKS-Schlüsselzahlen recherchiert und aufbereitet worden. Am 8. August 2012 seien die zuständigen Dienststellen anhand dieser Liste mit der Prüfung der Fälle beauftragt worden. Die Fälle der „Opferliste“ („Jansen-Liste“) seien den Dienststellen durch das LKA gesondert zugesandt worden. Es habe auch eine Informationsveranstaltung des LKA mit den Staatsschutzstellen stattgefunden. In Baden-Württemberg seien 172 Morddelikte, 208 Totschlagdelikte und 5 Fälle der „Opferliste“ zu prüfen gewesen. Durch die Dienststellen seien 6 weitere Taten gemeldet worden. Insgesamt seien es 391 Fälle gewesen. Eine Evaluation sei als Selbst-Evaluation durchgeführt worden. Im Ergebnis sei erstmals ein bundesweites Überprüfungsraster zur Feststellung möglicher Prüffälle rechtsextremistischer oder rechtsterroristischer Aktivitäten entwickelt worden, um bislang ungeklärte Fälle systematisch auszuwerten. Es habe sich ein heterogenes Bild im Bezug auf die Anzahl der an das BKA übersandten Meldungen durch die Länder gezeigt. Seiner Meinung nach sei dies darauf zurückzuführen, dass die Länder den Kausalzusammenhang bei den Taten unterschiedlich ausgelegt hätten. Die Sichtung sei durch sensibilisierte Kriminalbeamte erfolgt in Kenntnis der Taten und Vorgehensweise des NSU, mit dem polizeilichen Wissen und den Möglichkeiten der polizeilichen Technik von heute. Allein in Baden-Württemberg seien 386 ungeklärte Fälle von Mord und Totschlag untersucht worden. Allein diese Sichtung stelle einen Wert an sich dar.

In der Befragung durch die Abgeordneten äußerte Drews, in der AG Fallanalyse sei der Verfassungsschutz nicht vertreten. „Das heißt nicht, dass er überhaupt nichts damit zu tun hat.“ Die Namen der nach § 8 des BKA-Gesetzes gespeicherten Beschuldigten und Tatverdächtigen hätten sie auch an das BfV gegeben mit der Bitte um Überprüfung. Die Zeugen der Taten hätten aus Gründen des Datenschutzes nicht überprüft werden können.

Zu einer Dokumentation der „Zeit“ über Todesopfer rechter Gewalt, in der für Baden-Württemberg 8 Fälle genannt seien (wobei nur 3 Fälle staatlich anerkannt seien), sagte Drews, das sei eine Frage der unterschiedlichen Bewertung durch das LKA. Das BKA habe keine Kontrollfunktion gegenüber den Ländern, eine Evaluation habe von den jeweiligen Ländern selber stattgefunden. Drews lobte außerdem die Arbeit des LKA, das die Konzeption vorbildlich umgesetzt habe.

Drews erläuterte auf Nachfrage des AfD-Abgeordneten Dr. Fiechtner außerdem, es sei ausschließlich darum gegangen, eine politisch rechtsgerichtete Motivation aufzudecken, deshalb habe man nicht nach Links- oder Ausländerextremismus geschaut.

Mit Spannung erwartet wurde die Aussage des pensionierten BND-Präsidenten Ernst Uhrlau nach der Mittagspause. Nach einem Verweis des Ausschuss-Vorsitzenden Wolfgang Drexler auf den öffentlichen Bericht des Bundestags-NSU-Ausschusses entgegnete Uhrlau zunächst, er sei Pensionär und habe diesen Bericht nicht gelesen. Er führte dann weiter aus, er habe keine Informationen darüber, dass ausländische Sicherheitsbehörden beim Mord an Michèle Kiesewetter anwesend waren. „Ich habe zu dem ganzen Vorgang von damals keine eigenen Informationen. Als Zeitungsleser.“ „Als Präsident des BND habe ich zu der Zeit keine dienstlichen Informationen zu dem Mord erhalten“. Er kenne den Stern-Artikel vom 1. Dezember 2011. Zeitungsartikel seien vielfach nicht valide, man merke das, wenn mit einer Fülle von Fragezeichen und Konjunktiven operiert werde. „Ich habe den Zeitungsartikel damals für schwach gehalten“. Die Frage, warum der BND überhaupt mit der Frage befasst war und ob dies nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes gewesen wäre, werde er in öffentlicher Sitzung nicht behandeln, sagte Uhrlau weiter. Auch zu den Ermittlungen in seinem Hause könne er nichts sagen. Auf die Frage nach der Anwesenheit nach einer Observation von Verfassungsschützern aus Bayern und Baden-Württemberg am 25. April 2007 in Heilbronn sagte Uhrlau, er habe das gelesen. Aus seiner Sicht als Verfassungsschutzpräsident a. D. halte er das für obskur. Heilbronn habe keine besondere Rolle für die islamistische Terrorszene gespielt. Zu Erkenntnissen des BND bzgl. einer damaligen Terrorwarnung könne er in öffentlicher Sitzung nichts sagen, führte Uhrlau weiter aus. Das gleiche gelte für Informationen zur „Sauerland-Gruppe“.
Der Ausschuss-Vorsitzende Drexler zitierte dann aus dem öffentlichen Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages bzgl. eines Informationsschreibens von Uhrlau an den damaligen MAD-Präsidenten Karl-Heinz Brüsselbach. „Darüber können wir in nichtöffentlicher Sitzung reden“, war die Antwort von Uhrlau. Auf Nachfragen kündigte Uhrlau außerdem an, zu BND-internen Angelegenheiten auch in der nichtöffentlichen Sitzung nichts zu sagen.
Nach diesem zehnminütigen Auftritt von Uhrlau unterbrach der Ausschuss die Sitzung und setzte die Befragung in nichtöffentlicher Sitzung fort.

Nach der mehr als einstündigen nichtöffentlichen Befragung von Uhrlau wurde der Zeuge Attila S. gehört, der Mitglied der islamistischen „Sauerland-Gruppe“ war und nach seiner Verurteilung und Haftstrafe 2011 auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde. Er erklärte auf Nachfrage, weder Michèle Kiesewetter noch Martin Arnold oder einen anderen Angehörigen der Böblinger Bereitschaftspolizei zu kennen. Er wisse über Medienberichte hinaus nichts zum Mord in Heilbronn oder den Taten des NSU und habe niemals Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe oder rechtsextremen Gruppen gehabt. S. nannte dann die ehemaligen Mitglieder der „Sauerland-Gruppe“ und schilderte seine persönliche Entwicklung und Radikalisierung hin zum Islamismus. Er habe zwischen 2004 und 2007 Islam-Seminare an verschiedenen Orten besucht, u.a. in Ulm, Bonn und Berlin. Über Internetcafés überwiegend in Stuttgart habe er gemeinsam mit Fritz G. Kontakt zu Mevlüt K. aufgenommen. Nach Heilbronn sei er nie gefahren. Heilbronn habe weder für ihn noch für die Gruppe eine Rolle gespielt. Eine Zusammenarbeit mit schiitischen Gruppen habe es nicht gegeben, der Name „Amal-Milizen“ sage ihm nichts. Über Observationen 2007 gegen „Amal-Milizen“ in Heilbronn wisse er nichts. Rabbi H. sage ihm nichts und auch nicht der Name Chehade in Verbindung mit Heilbronn. Die Gruppe habe auch keinen Kontakt zu Kreditinstituten in Heilbronn gehabt bzw. dort Geld eingezahlt.
Attila S. schilderte, dass er im Jahr 2007 bemerkt habe, dass seine Gruppe observiert wurde. Im Januar 2007 sei er nach Istanbul geflogen, weil er bemerkt habe, dass er beobachtet werde und dies nicht aushalten konnte. Dem Fritz G. habe er mitgeteilt, dass er aus „dem Vorhaben“ raus wolle. Er habe aber zugesagt noch einmal zu helfen, falls die Zünder in die Türkei kommen würden. „Auf gut deutsch, ich bin abgehauen.“ In Istanbul sei er ab Januar 2007 zunächst bei Mevlüt K. untergekommen, der habe dort eine „Residenz“ gehabt, eine Wohnung eines Freundes für Besuch aus dem Ausland. Nach ein paar Wochen sei es Mevlüt K. zu heiß geworden und er habe sich eine Unterkunft in Konya gesucht. Am 6. November 2007 sei er verhaftet worden. Mevlüt K. habe damals Verbindungen nach Mannheim/Ludwigshafen gehabt, bezüglich der Zünderübergabe sei es auch um Braunschweig gegangen. Über Verbindungen von K. nach Heilbronn wisse er aber nichts. In Istanbul habe K. damals eine scharfe Waffe bei sich getragen. Attila S. sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass Mevlüt K. zwischen Januar und November 2007 in Deutschland gewesen sei. K. habe erwähnt, dass er einen Bruder in Deutschland habe. Die Zünderübergabe von Mevlüt K. an die „Sauerland-Gruppe“ in Istanbul sei zunächst gescheitert und erst beim zweiten Versuch geglückt. In Deutschland seien die Zünder im August 2007 in Wolfsburg oder Braunschweig bzw. in Mannheim weitergegeben worden. Das Organisatorische habe Mevlüt K. übernommen. Heilbronn habe bei der Zünderübergabe keine Rolle gespielt.
Attila S. bestätigte, im Sommer 2006 in einem Ausbildungslager in Pakistan gewesen und dort für den bewaffneten Kampf ausgebildet worden zu sein. Er könne sich noch an einen Granatwerfer, Handfeuerwaffen und Gewehre erinnern, mit der Bezeichnung „Tokarew“ könne er aber nichts anfangen. Auf einen Vorhalt aus seiner Vernehmung vom 2. Juni 2009, in der er von „Faustfeuerwaffen der Marken Tokarew und Makarow“ gesprochen hatte, entgegnete S., wenn er das damals so gesagt habe, „dann war das so“. Sie hätten bei den Übungen aber nicht schießen dürfen. Sie hätten gelernt, die Waffen in der Hand zu halten, sie auseinanderzubauen und zu putzen.
Der Ausschuss-Vorsitzende Wolfgang Drexler hielt S. einen Vermerk des Journalisten Rainer Nübel vor. Laut diesem habe ein Rechtsanwalt von S. im Jahr 2009 Rainer Nübel berichtet, dass ein Angeklagter des Sauerland-Prozesses in einer Sitzungspause des Prozesses gesagt habe, dass mit dem Pistolen-Typ „Tokarew“ auch die Polizistin in Heilbronn erschossen worden sei. Daraufhin sage Attila S.: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gesagt habe. Woher soll ich das wissen mit welcher Waffe der Schütze die Polizistin ermordet hat?“ S. führte weiter aus, er könne sich nicht mal erinnern, dass damals etwas mit einem Polizistenmord gewesen sei, er sei inhaftiert und mit seinen Problemen beschäftigt gewesen. Wenn er das gesagt habe, habe er es aus den Medien erfahren. Er würde seine Anwälte diesbezüglich von ihrer Schweigepflicht entbinden.
In der weiteren Befragung äußerte Attila S., Heilbronn sei damals auch kein möglicher Anschlagsort der „Sauerland-Gruppe“ gewesen. Er hätte keine Kontakte nach Heilbronn gehabt und wisse nichts von Kontakten anderer Gruppenmitglieder nach Heilbronn. Mevlüt K. sei damals für sie eine „helfende Hand“ gewesen, die internationale Rolle von K. sei es gewesen, Rekruten nach Tschetschenien zu vermitteln. K. habe Kontakte zu türkischen Behörden gehabt.
Er selbst habe keinen Kontakt zu den „Grauen Wölfen“ gehabt. Mevlüt K. habe ihm aber gesagt, dass er sich früher in seiner Jugend den „Grauen Wölfen“ angehörig gefühlt habe. K. habe gesagt, er habe seinen Hang zum Islamismus durch Symbole der Grauen Wölfe auf seinem Laptop etc. verschleiern wollen.

Die Abgeordneten von Eyb (CDU), Gentges (CDU) und Blenke (CDU) interessierten sich auffällig stark für den persönlichen Werdegang von S., seinen Weg hin zum Islamismus und seine Zukunftspläne. Obwohl kein Zusammenhang zum Thema Rechtsextremismus und NSU-Komplex zu erkennen war, stellten sie Attila S. mehrfach Fragen dazu. Beispielsweise fragte von Eyb, wer S. als junger Mensch beeinflusst habe, ob er als Staatenloser Reisen unternehmen könne, was er studiere und ob er den Wunsch habe, wieder deutscher Staatsbürger zu werden. Blenke, der sich ansonsten den ganzen Tag nicht zu Wort meldete, wollte wissen, ob S. auf einer Universität oder einer Hochschule studiere, welchen Schulabschluss er habe und ob er „geläutert“ sei.
In der anschließenden Presserunde lobten sowohl von Eyb als auch der AfD-Abgeordnete Fiechtner die Entwicklung von Attila S. als Beispiel für eine „gelungene Integration“.

Da der Ausschuss auch im Rahmen der nichtöffentlichen Befragung des ehemaligen BND-Präsidenten Uhrlau nicht alle Widersprüche hinsichtlich einer möglichen Anwesenheit von Angehörigen US-amerikanischer Dienste in Heilbronn klären konnte, kündigten die Abgeordneten im Rahmen einer Pressekonferenz an, weitere Zeugen zu diesem Thema laden zu wollen. Der Ausschuss kommt allerdings erst im Januar 2017 wieder zusammen.

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